Der Klimabeirat des Landes Hessen weist in einer aktuellen Stellungnahme auf die Notwendigkeit hin, Maßnahmen des Landes Hessen für eine klimagerechte Verkehrswende zu intensivieren, um die Emissionen im Verkehrssektor zu senken und den Blick gleichzeitig noch stärker auf die sozial gerechte Ausgestaltung von Klima- und Mobilitätspolitik zu werfen: Bereits jetzt sind laut einer Studie des DLR im Auftrag des Hessischen Klimabeirats nennenswerte Teile der Bevölkerung in Hessen von Mobilitätsarmut betroffen oder gefährdet. Insbesondere auf dem Land spielt dabei die Abhängigkeit vom Autobesitz eine zentrale Rolle.
Die Studie weist zwei Formen von Mobilitätsarmut aus, die die unteren Einkommensgruppen betreffen: Der Typ 1 zeigt sich als Einschränkung von Mobilität. Das heißt, aufgrund fehlender Mobilitätsoptionen (kein guter Anschluss an den ÖPNV und kein eigenes Auto) bleibt Menschen die soziale Teilhabe an relevanten Aktivitäten im Alltag verwehrt oder wird erschwert. Arbeits-, Bildungs- und Freizeitangebote sind für sie nur mühsam erreichbar. Der zweite Typ betrifft Menschen, die zwar mobil, aufgrund der hohen Kosten der Mobilität jedoch finanziell stark belastet sind. Auf jeden fünften Haushalt in Hessen trifft laut der Studie eine der beiden Formen von Mobilitätsarmut zu.
Klimafreundliche Mobilität ohne finanzielle Überlastung
„Um die Klimaziele zu erreichen und eine lebenswerte Zukunft für die Menschen in Hessen zu sichern, ist es essentiell, dass die Emissionen im Verkehr sinken. Zugleich müssen aber Maßnahmen ergriffen werden, die sicherstellen, dass alle Menschen ausreichend mobil sein können, ohne sie finanziell zu überlasten. Das ist insbesondere für die unteren Einkommensgruppen wichtig, die wenig zum Klimawandel beitragen, aber besonders stark betroffen sind“, sagt Prof. Dr. Flurina Schneider, stellvertretende Vorsitzende des Wissenschaftlichen Klimabeirates und wissenschaftliche Geschäftsführerin des Instituts für sozialökologische Forschung (ISOE) in Frankfurt.
Per Definition der DLR-Studie zählen Haushalte der unteren Einkommensgruppen zum Armutstyp 1, wenn sie in einer Region mit geringem ÖPNV-Angebot leben und kein Auto besitzen. Zum Armutstyp 2 zählen Haushalte der unteren Einkommensgruppen, die mehr als sechs Prozent ihres Haushaltsbudgets für Mobilität aufbringen müssen. Mit Stand Juli 2025 sind in Hessen insgesamt rund 19 Prozent der Haushalte - das sind 545.000 Haushalte - von Mobilitätsarmut betroffen. Zudem zeigt die Datenanalyse des DLR: Die Zahl der betroffenen Haushalte wird potentiell steigen, wenn sich die Abhängigkeit vom privaten Pkw nicht reduziert und sich die fossilen Brennstoffe perspektivisch weiter verteuern, wie es durch die für das Jahr 2027 geplante Erweiterung des europäischen Emissionshandels auf die Sektoren Gebäude und Straßenverkehr (ETS 2) zu erwarten ist.
Privater Pkw: Doppelrolle für Mobilitätsarmut
Das eigene Auto spielt bei der Mobilitätsarmut eine Doppelrolle: Wer keinen eigenen Pkw besitzt und außerhalb der großen Städte wie Frankfurt, Kassel oder Fulda lebt, ist dem Risiko ausgesetzt, seinen Arbeitsplatz, Orte des täglichen Bedarfs und Bildungsorte nicht gut erreichen zu können und so finanziell weiter abgehängt zu werden.
Doch auch der Autobesitz ist ein Risikofaktor. Haushalte mit eigenem Pkw haben deutlich höhere Mobilitätsausgaben relativ zum Einkommen im Vergleich zu Haushalten ohne Auto. In Verbindung mit einem niedrigen Einkommen erhöht der Autobesitz die Wahrscheinlichkeit, in Folge relativ hoher Ausgaben übermäßig belastet zu sein. Das heißt, Autobesitz kann der Grund dafür sein, dass Menschen in Armut leben.
Autoabhängigkeit verringern und so die Haushalte entlasten
Der Wissenschaftliche Klimabeirat empfiehlt der Landesregierung daher, Maßnahmen zu ergreifen, die die Autoabhängigkeit verringern und zu einer finanziellen Entlastung der betroffenen Haushalte beitragen. Der öffentliche Verkehr ist hier der wichtigste Ansatzpunkt: „Der Ausbau des ÖPNV in der Fläche und die Verbesserung des Angebots bezüglich Takts und Verbindungsqualität sind prioritär. Zugleich müssen kostengünstige Angebote wie der ‚Hessenpass mobil‘ langfristig gesichert werden. Auch die Schaffung von sicheren Radwegen insbesondere in ländlicheren Regionen können helfen”, sagt Prof. Dr. Martin Lanzendorf, Mitglied des Klimabeirats und Professor für Mobilitätsforschung an der Goethe-Universität Frankfurt. Flurina Schneider ergänzt: „In ländlichen Regionen können zudem soziale Sharing-Angebote von Elektrofahrzeugen kurzfristig Alternativen bieten. Für kommerzielle Anbieter lohnt sich aufgrund der geringen Nachfrage in der Regel das Angebot nicht. Eine Option ist daher die Organisation von Sharing-Systemen ohne Gewinnerwartung“, so die Professorin.
Angebote sichern und ausbauen
Der Klimabeirat bestärkt das Land Hessen darin, seine möglichen Schalthebel für eine sozial gerechte Klima- und Mobilitätspolitik weiter zu nutzen und auszubauen. Zentrale Instrumente sind das Mobilitätsfördergesetz Hessen und die zugehörige Richtlinie, das Nahmobilitätsgesetz Hessen und die zugehörige Richtlinie zur Förderung der Nahmobilität, die Arbeitsgemeinschaft Nahmobilität Hessen (AGNH), die Akteure aus Kommunen, Verkehrsverbünden, Wissenschaft und Verbänden berät und vernetzt sowie der Klimaplan Hessen und der Hessenpass mobil, der es Menschen in Hessen, die Bürgergeld, Wohngeld oder Sozialhilfe erhalten, ermöglicht, das Deutschland-Ticket zu einem vergünstigten Preis zu beziehen. Der Wissenschaftliche Klimabeirat empfiehlt der Landesregierung, diese Angebote zu sichern und auszubauen und zudem die Bekämpfung von Mobilitätsarmut als explizites und prioritäres Ziel zu benennen, um Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit ressortübergreifend zu verbinden.
Über den Klimabeirat:
Der Wissenschaftliche Klimabeirat hat die Aufgabe, die Landesregierung unabhängig zu Klimaschutz und Klimaanpassung zu beraten. Grundlage ist das Hessische Klimagesetz. Fünf Professorinnen und Professoren sind für fünf Jahre berufen und ehrenamtlich tätig:
- Apl. Prof. Dr. Ulrike Jordan (Universität Kassel, Solar- und Anlagentechnik)
- Prof. Dr. Martin Lanzendorf (Goethe-Universität Frankfurt, Mobilitätsforschung)
- Prof. Dr. Sven Linow (Hochschule Darmstadt, Wärmelehre und Umwelttechnik)
- Prof. Dr. Flurina Schneider (wissenschaftliche Geschäftsführerin des Instituts für sozialökologische Forschung (ISOE) sowie Goethe-Universität Frankfurt, Soziale Ökologie und Transdisziplinarität)
- Prof. Dr.-Ing. Iris Steinberg (Hochschule Darmstadt, Kreislaufwirtschaft)