Der Wissenschaftliche Klimabeirat der Hessischen Landesregierung warnt vor zu großen Hoffnungen in die Fusionstechnologie. „Angesichts der vorliegenden Ergebnisse aus der Fusionsforschung verwundert der hohe Stellenwert, den die Fusion in der politischen Diskussion derzeit einnimmt“, erklärte der Vorsitzende des Beirates, Prof. Dr. Sven Linow anlässlich der Vorstellung einer Studie und einer Stellungnahme zur laserbasierten Kernfusion. Demnach wird Kernfusion absehbar keinen Beitrag zur Erreichung der hessischen Klimaziele leisten. „Es ist derzeit sogar noch sehr ungewiss, ob Kernfusionsreaktoren technisch jemals umgesetzt und wirtschaftlich eingesetzt werden können“, so Linow weiter. Dies belege eine Studie, die den aktuellen Stand der Technik gründlich beleuchtet.
Die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen
Demnach ist es in jahrzehntelanger internationaler Forschung in Großforschungsprojekten zwar gelungen, Tritium und Deuterium miteinander zu fusionieren. Dies aber nur für den Bruchteil einer Sekunde und mit einem Energieaufwand für die eingesetzten Laser, der die Energieerzeugung aus der Fusionsreaktion um ein Zehnfaches übersteigt. Die Herausforderungen sind enorm: So müsste zum Beispiel die Pulsrate der Fusion um einen Faktor von einer Million erhöht werden, es fehlen Materialien, die den hochenergetischen Teilchenstrahlen standhalten können und es ist noch unklar, wie der Kernbrennstoff Tritium bereitgestellt werden kann. „Die Forschung steckt noch in den Kinderschuhen“, erklärte apl. Prof. Dr. Ulrike Jordan, Mitglied des Wissenschaftlichen Klimabeirats. Mit Ergebnissen vieler dieser grundlegenden Fragestellungen sei demnach frühestens in den späten 2030er Jahren zu rechnen, für einen Reaktor werde als frühester Termin 2043 angegeben. „Ob das einzuhalten ist, kann aufgrund der hohen Komplexität solcher Anlagen bezweifelt werden“, so Jordan. Auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) rechne einem Positionspapier zufolge nicht mit einem Einsatz der Fusionstechnik vor Mitte des Jahrhunderts.
Die gesetzlich verankerten, hessischen Klimaziele sehen dagegen einen kompletten Ausstieg aus den Treibhausgasemissionen bis 2045 vor. Bis dahin muss die Umstellung der Energieversorgungssysteme auf klimafreundlichere Technologien also abgeschlossen sein. „Und selbst das ist angesichts der klimabedingten Naturkatastrophen, die schon heute immer sichtbarer werden, eigentlich zu spät“, so der Klimabeirat.
Kosten von mindestens 20 Milliarden Euro für einen Reaktor
Selbst wenn es technisch gelänge Kernfusionsreaktoren zu betreiben, die Kosten wären erheblich. Als Mindestsumme werden 20 Milliarden Euro für einen Reaktor genannt. Angesichts der Komplexität der Anlagen ist mit sogar noch höheren Kosten zu rechnen. Es besteht somit die Gefahr, dass dringend notwendige, kurzfristig wirksame Klimaschutzmaßnahmen durch einen zu starken Fokus auf die Fusion ausgebremst werden.
Risiken durch Radioaktivität und militärische Nutzung
Die Studie thematisiert auch weitere Risiken der Kernfusion, die bisher in der öffentlichen Debatte kaum beleuchtet werden. So ist die Radioaktivität zwar deutlich niedriger als in Atomreaktoren, aber auch hier entstehen durch die Teilchenstrahlungen schwach- und mittel-radioaktive Abfälle, für die es noch keine Endlager gibt. Dazu kommen Gefahren, die sich durch die Lagerung großer Mengen des Kernbrennstoffs ergeben: Schon der Tritiumvorrat eines einzelnen Fusionsreaktors würde ein großes Reservoir für die Produktion von Wasserstoffbomben darstellen, das schwer kontrollierbar sein wird.
Über den Wissenschaftlichen Klimabeirat:
Der Wissenschaftliche Klimabeirat hat die Aufgabe, die Landesregierung unabhängig zu Klimaschutz und Klimaanpassung zu beraten. Grundlage ist das Hessische Klimagesetz. Fünf Professorinnen und Professoren sind für fünf Jahre berufen und ehrenamtlich tätig:
• Apl. Prof. Dr. Ulrike Jordan (Universität Kassel, Solar- und Anlagentechnik)
• Prof. Dr. Martin Lanzendorf (Goethe-Universität Frankfurt, Mobilitätsforschung)
• Prof. Dr. Sven Linow (Hochschule Darmstadt, Wärmelehre und Umwelttechnik)
• Prof. Dr. Flurina Schneider (Wissenschaftliche Geschäftsführerin des ISOE – Institut für sozial-ökologische Forschung sowie Goethe-Universität Frankfurt, Soziale Ökologie und Transdisziplinarität)
• Prof. Dr.-Ing. Iris Steinberg (Hochschule Darmstadt, Kreislaufwirtschaft)